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Mindful Leadership: achtsam führen, aber richtig

Gastbeitrag aus Die Mediation - Fachmagazin für Konfliktlösung, Entscheidungsfindung, Kommunikation

Die Digitalisierung und ihre Auswirkungen betreffen auch bzw. insbesondere die Führungskräfte der Unternehmen. Ihre Aufgaben verändern sich rasch und damit die Anforderungen an eine „gute Führung“. 

Neben der Geschwindigkeit, Komplexität und Aufgabendichte steigen auch die Erwartungen an die Mitarbeiterführung. In diesem Prozess verlieren viele Führungskräfte zunehmend die gesunde Balance zwischen der Arbeit und anderen Aspekten des Lebens – auch weil die ständige Erreichbarkeit in Berufs- und Privatleben ihr Gehirn rund um die Uhr mit einer Vielzahl von Informationen flutet.

Deshalb stellen sich für Führungskräfte die Fragen: Wie kann ich angesichts dieser Realität noch 

  • den Durchblick bewahren, 
  • meine Mitarbeiter im Dschungel der Veränderungen motivieren und navigieren und zugleich
  • die Freude an meinem Job behalten? 

Achtsam führen in der neuen, agilen Arbeitswelt

Mindful Leadership bzw. auf Deutsch „Achtsame Führung“ bietet eine nachhaltige Orientierung auf dem Weg in eine neue, agile Arbeitswelt. „Mindfulness“, also Achtsamkeit, ist eine besondere Form der Konzentration, bei der man bewusst wahrnimmt, was im Moment ist und geschieht, ohne dies zunächst zu beurteilen.

Die positiven Wirkungen von Achtsamkeit auf die geistigen und körperlichen Vorgänge sind inzwischen wissenschaftlich belegt. Ein wichtiger Vorreiter in diesem Bereich war Jon Kabat-Zinn, Professor der University of Massachusetts Medical School in Worcester, mit seinem Programm MBSR (Mindfulness Based Stress Reduction). MBSR ist ein achtwöchiges, wissenschaftlich fundiertes achtsamkeitsbasiertes Trainingsprogramm, das darauf zielt, nachhaltig besser mit Stress und den eigenen Herausforderungen im Leben umzugehen. Hauptinhalte sind verschiedene Formen der Meditation und die Entwicklung von Achtsamkeit im Alltag. 

Das von Kabat-Zinn und seinem Team an der University of Massachusetts in den 1970er-Jahren entwickelte Programm wird seitdem weltweit mit großem Erfolg angewendet. Umfangreiche wissenschaftliche Forschungen belegen seine positiven Wirkungen. Die Effekte sind nicht nur auf der psychologischen, sondern auch auf neuronaler Ebene (Gehirnstrukturen verändern sich positiv) nachweisbar.

Die Selbststeuerungsfähigkeit erhöhen

Im Zentrum des Programms steht die Entwicklung der Selbststeuerungsfähigkeit der eigenen Aufmerksamkeit. Die Präsenz im Moment ermöglicht es, wahrzunehmen, was im eigenen Bewusstsein geschieht, und unbewusst wirkende Denk-, Fühl- und Verhaltensmuster zu bemerken und außer Kraft zu setzen. Durch diese Form des Bewusstseins-Managements entsteht Raum für Neues, Kreatives sowie ein der Situation angepasstes Verhalten in Führungssituationen, denn: Zwischen dem Reiz und der Reaktion vergeht eine kleine Zeitspanne. In dieser besteht für uns die Möglichkeit, unsere Antwort bzw. Reaktion auf den Reiz bewusst zu wählen. Die achtsame Wahrnehmung dieses inneren Prozesses ermöglicht es, der eigenen kraftvollen Intuition zu folgen.

Mindfulness in Unternehmen

Auch für Unternehmen bietet eine Steigerung der Achtsamkeit ihrer Führungskräfte vielversprechende Möglichkeiten. Durch Mindful Leadership können Führungsaufgaben authentischer, besser und erfolgreicher wahrgenommen werden. Die positive Wirkung für Unternehmen erkannte Google bereits 2007 und etablierte unternehmensweit ein sehr erfolgreiches Programm namens „Search inside yourself“, eine Art Achtsamkeits-Programm.

Viele deutsche Unternehmen, wie SAP, BASF, Bosch und Continental, sind diesem Beispiel gefolgt. Auch mittelständische Unternehmen haben inzwischen die Wirkung von Achtsamkeit für sich entdeckt und bieten ihren Führungskräften (und Mitarbeitern) spezielle Programme und Trainings an.

Ein kaum selbstreflexives und sich seiner negativen (Neben-)Wirkungen nicht bewusstes Führungsverhalten kann für Unternehmen teuer werden, denn es hat starke Auswirkungen auf ihren Erfolg. Studien belegen unter anderem einen negativen Einfluss auf die Zufriedenheit der Mitarbeiter, deren Engagement und Produktivität sowie die Fehlzeiten und Fluktuation. Durch ein achtsamkeitsbasiertes Leadership-Programm kann nicht nur der Stresslevel des Einzelnen reduziert werden, sondern können auch viele andere positive Wirkungen für den Unternehmenserfolg erzielt werden.

Die positiven Wirkungen einer erhöhten Achtsamkeit

Genannt seien folgende positiven Wirkungen:

Unternehmen:

  • höhere Produktivität aufgrund effektiverer Führungsarbeit,
  • höhere Motivation und Zufriedenheit im Team,
  • verbesserte Work-Life-Balance und weniger krankheitsbedingte Fehltage,
  • qualitativ höherwertige (Projekt-)Arbeit durch ein vernetzteres proaktives Handeln,
  • höhere Arbeitsidentifikation aufgrund eines mitarbeiterorientierten Betriebsklimas. 

Führungskraft:

  • Konzentrationsfähigkeit, Intuition und Kreativität steigen,
  • Aufbau nachhaltiger Stressbewältigungsstrategien (die Fähigkeit, äußerem Druck standzuhalten, steigt; mehr Gelassenheit im beruflichen Alltag),
  • bessere Kenntnis der eigenen Gefühle und Bedürfnisse (verbesserte Selbst- und Fremdwahrnehmung),
  • Ausbau wichtiger Führungskompetenzen (u. a. emotionale Intelligenz, verantwortungsvolles Handeln, Entscheidungskompetenz, proaktives Verhalten),
  • höhere Empathie, Stärkung der sozialen Fähigkeiten und der Netzwerkkompetenz,
  • konstruktiver Umgang mit Misserfolgen,
  • flexiblerer Umgang mit (neuen) Herausforderungen, höhere Change-Kompetenz,
  • erhöhte Präsenz und Fokussierung als Führungskraft (und dadurch eine stärkere Ausstrahlung als Person, eine höhere persönliche Authentizität),
  • flexibleres Denken, mutiger und schneller beim Entscheiden. 

Bessere Führung durch bessere Selbstführung

Vor ein, zwei Jahrzehnten wirkte das Thema Achtsamkeit noch exotisch und esoterisch, heute ist Achtsamkeit eine wissenschaftlich belegte, bedeutende Führungskompetenz. Mindful Leadership ermöglicht es, herausfordernde Situationen neu wahrzunehmen und deshalb neue, kreative Problemlösungen und Verhaltensweisen zu finden. 

Wichtige Führungskompetenzen dank Mindful Leadership:

  • proaktive Change-Kompetenz,
  • Selbstführung,
  • Lösungs- und Prozesskompetenz,
  • emotionale Intelligenz/Authentizität,
  • Netzwerkkompetenz sowie
  • Kreativität/Innovationsfähigkeit.

Die Basis für eine achtsame Führung ist eine bewusste Selbstführung. Achtsame Führungskräfte sind klar bezüglich ihrer selbst und ihrer Werte, Einstellungen und Motive. Um eine nachhaltige Veränderung im Verhalten zu bewirken, bedarf es Zeit und regelmäßigen Übens. 

Die eigene vertiefte Achtsamkeitspraxis ist der Schlüssel zum Erfolg. Das heißt konkret, täglich 20 Minuten in sich selbst zu investieren und sich Zeit zu nehmen für die eigene Achtsamkeitspraxis (z. B. Meditation).

Gute Führung ist in erster Linie eine Frage der Qualität der dem Handeln zugrunde liegenden Bewusstseinsprozesse. Deshalb sollte ein Mindful-Leadership-Programm genau dort ansetzen: nämlich bei der bewussten Selbststeuerung und Selbstführung. Aus dem achtsamen Umgang mit sich selbst können dann Handlungsprinzipien für den persönlichen Führungsalltag abgeleitet werden.

Über die Autoren:

Uwe Reusche
Einer der beiden Geschäftsführer des ifsm Institut für Sales & Managementberatung, Höhr-Grenzhausen (bei Koblenz) (www.ifsm-online.com).
 
Silke Engelke
Arbeitet unter anderem als Achtsamkeitstrainerin und 
-beraterin für ifsm. Die Diplom-Sportlehrerin war zuvor unter anderem Personalentwicklerin bei einer Bank.

Dieser Artikel ist in Die Mediation erschienen, das Fachmagazin für Konfliktlösung, Entscheidungsfindung, Kommunikation. 
Ausgabe Quartal IV/2019

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