| Wirtschaft

„Leadership matters“ – Was erfolgreiches Change Management zu leisten hat

Fachartikel aus "Die Mediation"

Veränderungen in ihrer Unterschiedlichkeit bezüglich Umfang, Komplexitätsgrad und Laufzeit gehören zu den äußerst anspruchsvollen Herausforderungen in der Profession „Führungskraftsein“. Persönlich-individuelle Veränderungen im Aufgaben- und Verantwortungsgebiet sind ebenso zu bewältigen wie die Realisierung und Führung durch firmenextern wie -intern induzierte Phasen des Wandels, die Mensch, Organisation und Technik vor sich ständig ändernde Bedingungen stellen.

Auf Überraschungen überraschend gut reagieren

Äußere Entwicklungen erzwingen den Wandel Aktuell sind es die Effekte einer zunehmenden Digitalisierung, eine anwachsende Ressourcenknappheit, disruptive Geschäftsmodelle, Diversität in unterschiedlichen Ausprägungen, macht-, gesellschafts- und wirtschaftspolitische Verschiebungen von Ordnungsprinzipien und -mustern, neue Formen interkulturellen Zusammenlebens und -arbeitens sowie technologisch neue Machbarkeiten von Industrie-Releases, die zu aktiven und offensiven Auseinandersetzungen mit dem Tempo, der Tragweite und Schlagzahl der daraus resultierenden Veränderungen zwingen.

Mit Innovationen und Refraimings im Mindset sollen „neue“ Geschäftsmodelle entworfen werden, Musterbrecher von kulturell und strukturell eingefahrenen Denk- und Handlungsmaximen rufen zur Neuordnung auf und Rebellen sowie Querdenker im Arbeits-, Wirtschafts- und Politleben versuchen den Umbruch zu begünstigen und zu beschleunigen. Andere Fähigkeiten und Wissensbausteine machen wiederum geänderte Formen des Lernens notwendig.

Der Erfolg von Change-Projekten ist kein Selbstläufer Auch die Management-Wissenschaften „reagieren“ auf diese Wandelerscheinungen mit scheinbar „neuen“ Modellen, Konzepten, Methoden und Instrumenten, die in vielen Kernaussagen sehr ähnlich erscheinen und an bereits Bekanntes erinnern. Eine berechtigte Gelassenheit und Skepsis im Umgang damit ist ratsam. Hype-Themen, sprachlich feingeschliffene und aufgepeppte, teils realitätsentfremdete Prinzipiensammlungen versprechen Erfolg, werden in der Welt der Wirtschaftsrealität aufgegriffen, in der Anwendung entweder veredelt oder aber erfolglos verworfen, wenn die Praktikabilität vermisst wird und die Glaubhaftigkeit schwindet.

Viele dieser vorgeschlagenen Entwürfe sind gut gemeint, aber womöglich schlecht gemacht, oder aber es wurde ausgeblendet, dass die Wirkungsstärke von Management-Konzepten auch immer vom Innenleben der jeweiligen Organisationen bestimmt werden: von den geltenden Werthaltungen, den Grundannahmen, den handlungsleitenden Einstellungsmustern, den Kognitionen, den dominanten Logiken, den blinden Flecken, den Eigengesetzlichkeiten, den Selbstverständlichkeiten, den sozialen Interaktionspraktiken, den Konservatismen und Renitenzen (vgl. Neumann 2000: 4). Es sind daher musterhaft immer wieder ähnliche Gründe, die zum Abbruch, zum schleppenden Verlauf, zu Unzufriedenheiten oder ungeplant negativen Nebeneffekten bei der Realisierung von Veränderungsprozessen führen.

Gründe für das Scheitern von Management-Konzepten

Es fehlt ein klares "Big Picture" der Veränderung, die Beschreibung einer detailgenauen, realistischen Existenz in der Zukunft, die Orientierung und Perspektive gibt, Ziele konkretisieren, operationalisieren, den Sinn und Nutzen erkennen lässt.

Die Geschichte und Kultur des Unternehmens setzt auf Beharrung – „Herkunft verhindert womöglich Zukunft“. Die Historizität von Veränderung deutet darauf hin, ob reflektierte Erfahrungswerte mit Veränderungen bestehen oder ob bis dato primär eine Komfortzonenmentalität aufgrund bisheriger Erfolge existiert. So paradox es klingen mag, aber der größte Hindernisfaktor für weiteren Erfolg ist Erfolg, weil er satt, genügsam und träge macht.

Es fehlt die „Need for Change“-Kommunikation und „Trägerfrequenz“ gegenüber den Zielgruppen der Veränderung. Kommunikation beginnt beim Empfänger, entscheidend ist, was die Betroffenen hören und interpretieren. Mangelnde Kommunikation wird gern durch Spekulation ersetzt, woraus Gerüchte, Ängste und Orientierungslosigkeit resultieren. Umso wichtiger ist die klare und zielgruppengerechte Gestaltung einer Kommunikationsarchitektur, d. h. die richtige Wahl von Zeitpunkt, Sprache, Medium, Dramaturgie und Kernaussagen für die jeweils relevante Zielgruppe.

Es fehlt der wahre Leidensdruck und auf die Bewahrung eines Status quo wird viel Energie verwendet. Zu viel Selbstgefälligkeit, Trägheit, Resistenz und Komforteffekte dominieren. Vielfach ist auch die Frage zu stellen, wer durch die Beibehaltung der Ist-Situation womöglich einen erkennbaren Vorteil hat; so wird deutlich, wo der Leidensdruck bei den Entscheidungsträgern zu gering ist oder zur Gänze fehlt.

Ignorierte Ängste führen zu Widerständen und Spielen im organisationalen Untergrund. Nicht selten verlassen hierdurch die besten Leute frühzeitig das Unternehmen.

Es fehlen die Macht-, Beziehungs- und Fach-Promotoren einer Veränderung. Es gibt also keine ausreichend starke, dominante Führungskoalition, die im Sinne eines Interessensverbandes gemeinsame Change-Ziele verfolgt.

Es besteht die Unfähigkeit, schnelle Erfolge zu generieren. Wenn die „Quick-Wins“ fehlen, entsteht Skepsis und die Glaubwürdigkeit leidet, weil ein konkreter Nutzen für die Betroffenen schwer zu erkennen ist.

In der Gestaltung, dem Management und der Führung von Veränderungen mangelt es an Wissen. Change-Programme sind Management-, aber keine technischen Projekte. Demzufolge gibt es eine Vielzahl von unwägbaren sich ändernden Gegebenheiten, die nicht quantifizierbare Risiken darstellen und von interessenspolitischen Willensbildungsprozessen geprägt sind. Anders formuliert: Es existieren diffuse Machtspiele im Gewinner-Verlierer-Modus und zahlreiche Heckenschützen hoffen auf ein Scheitern.

Change-Vorhaben sind ureigene Führungsaufgabe

Veränderungsvorhaben sind vom Charakter her mikropolitische Management-Projekte, die meist auf divergierende Interessen im Wechselspiel von Entwicklung und Bewahrung treffen, durch Befindlichkeiten verschiedenster Stakeholder beeinflusst werden und durch im Detail nicht vorhersehbare Eigendynamiken gekennzeichnet sind.

An der Umsetzung von Veränderungen zeigen sich jene Muster an kumulierten unternehmensinternen Widersprüchlichkeiten, Pathologien und blinden Flecken, für deren Bearbeitung wirksame Ansätze entwickelt werden müssen. Und darin besteht nicht nur eine der wohl größten Herausforderungen, sondern auch gleichzeitig die größte Gefahr für ein Scheitern. Die Auseinandersetzung mit plötzlich neu eintretenden Situationen löst unterschiedliche Reaktionsmuster und (Eigen-) Dynamiken aus, wie zum Beispiel Schock, Betroffenheit, Orientierungslosigkeit, Zweifel, Resignation, Aggression, Ignoranz, Verdrängung, Konfrontation, Akzeptanz, Angst, offenen und verdeckten Widerstand, Flucht, „Not-invented-here-Syndrom“, innere Kündigungshaltung, Dienst-nach-Vorschrift-Mentalität und Abwanderung von Leistungsträgern.

Erforderliche Maßnahmen einer ständigen organisationalen Optimierung und Professionalisierung (hinsichtlich u. a. Qualität, Zeit, Kosten, Kompetenz), Prozesse einer strategischen Ausrichtungsänderung sowie kurzfristige Maßnahmen zur Sicherung des Überlebens erfordern nicht nur das Bewusstsein für die Tragweite und Dimension der damit verbundenen Interventionen und der zu antizipierenden Reaktionsdynamiken, sondern auch die notwendige Überraschungskompetenz im Umgang mit denselben. Dazu bedarf es der Klarheit und Nachvollziehbarkeit in der Vermittlung von Sinn und Notwendigkeit einer Veränderung, einer mikropolitischen Netzwerkarbeit im interessenspolitischen Willensbildungsprozess, einer Mobilisierung von Energien für Veränderung, des Mutes zu Entscheidungen und einer Bereitstellung der für die Betroffenen nötigen Ressourcen.

Es bedarf wahrer Führungsstärke

„Leadership matters“ – Führung ist also von erheblicher Bedeutung – nicht nur für das Erkennen relevanter schwacher Signale, die Festlegung einer sinnvollen strategischen Ausrichtung, das Design organisationaler Rahmenbedingungen, die Generierung von Wettbewerbsvorteilen, das Priorisieren von Schwerpunktthemen, sondern auch bei der Bindung der „richtigen“ Leute im Unternehmen. Jede Führungskraft schafft sich durch eigenes Handeln und Kommunizieren eine unverwechselbare Marke ihrer selbst. So gibt es Führungskräfte, die für Umsetzungsstärke stehen, für Durchsetzungs- und Durchhaltevermögen sowie Belastbarkeit, andere stehen für Ehrlichkeit, Authentizität, Aufrichtigkeit und Souveränität und weitere für Wankelmut, Respektlosigkeit, mangelnde Loyalität, Egoismus und geringe Standfestigkeit, andere wiederum vereinen in sich eine Mischung all jener genannten Attribute und mehr. Der Leadership-Brand entscheidet maßgeblich über Erfolg und Misserfolg in der Führungs- und insbesondere Veränderungsarbeit, in der Einschätzung von Professionalität, Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit, Souveränität und führt zu der für den Veränderungserfolg so notwendigen „followership“ der Belegschaft – es werden nicht die Inhalte von Zielen beurteilt, sondern die Person, die diese vertritt (siehe hierzu auch den Beitrag „So entwickeln Sie Ihre Leadership-ID“ von Joachim Simon in der Mediation, Ausgabe I/2020, S. 70–73).

Daraus wird erkennbar, dass für das Gelingen von Veränderungsprozessen erheblich ist, wer diese initiiert, an der Spitze steht, die Zielrichtung definiert, die Inhalte und nächsten Schritte konkretisiert. Die Person, die diese „Führungs-Kraft“ sein will, muss auch die Power haben, d. h. über die Kraft, das Wissen, die Fähigkeiten, das (Selbst-)Vertrauen, die Persistenz, Belastbarkeit, Beständigkeit, den Mut, die Klarheit, Kompetenz und Konsequenz im Beschreiten des Weges einer Veränderung verfügen. Konkret umfasst diese Führungsleistung in sich jeweils unterschiedliche Rollen und Aufgaben, die hier auf „Management“, „Coaching“, „Networking“ und „Leadership“ eingegrenzt werden.

Gegenstände der Führungsleistung Managementaufgaben:

Konzentration auf operative Maßnahmen und die dafür notwendigen Entscheidungen, die kompetente Anwendung des Handwerkszeugs der Führung und eine Generierung von Lösungen. Im Fokus stehen die Choreografie und Gestaltungsverantwortung für Lern-, Entwicklungs- und Veränderungsprozesse, deren professionelle Initiierung und je nach Tiefendimension und Umfang die Steuerung mit den geeigneten Methoden und Instrumenten.

Autor: Robert Neumann

Dieser Artikel ist in "Die Mediation" Ausgabe 02-2020 erschienen. Dort finden Sie noch weitere spannende Artikel Rund um das Thema Veränderung, unter anderem:

  • Die wissenschaftliche Kolumne: Visionen brauchen Zweifel,
  • Der Relationale Change-Prozess abseits vom „Tal der Tränen“ – step by step,
  • Mit Veränderungskompetenz auf Erfolgskurs – Mediation im Wandel,
  • Der Flirt im Wandel der Zeit,
  • Vertragsänderungen – die juristische Dimension.

Zurück

Kommentare

Einen Kommentar schreiben

Bitte addieren Sie 6 und 1.