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Familienmediation in Deutschland - Eine Einführung

Fachartikel aus Die Mediation von Gernot Barth und Heiner Krabbe

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Vor gut 30 Jahren kamen die ersten amerikanischen Trainer und Ausbilder für Mediation nach Deutschland. Friedman, Himmelstein und Haynes unterrichteten Familienmediation für das Konliktfeld „Trennung und Scheidung“. Bis heute wird dieses Feld mitunter als der Kern von Familienmediation angesehen. Die Ausdiferenzierung, Diversiizierung und Pluralisierung menschlichen Zusammenlebens im System Gesellschaft hat dazu geführt, dass es in Deutschland inzwischen zahlreiche weitere Anwendungsfelder von Mediation im Familiensystem gibt. Im Kern geht es um die Stabilisierung des Zusammenlebens in Formen, die noch bis vor einigen Jahren weitgehend unbekannt waren bzw. als Randerscheinungen wahrgenommen wurden und in denen die Individuen nach Orientierung suchen.

Entwicklung der Familienmediation in Deutschland

Welche Veränderungen in Ehe und Familie haben konkret die Anwendungen von Familienmediation beeinlusst? Zum ersten ist hier die Pluralisierung von Lebens- und Beziehungsformen

zu nennen. Die vormals dominierende Kleinfamilie ist nur noch eine mögliche Lebensform unter zahlreichen anderen (Peuckert 2008: 10). Charakteristisch für diese Entwicklung ist, dass sich die frühere Doppelnatur der Familie (leibliche Eltern = juristische Eltern) in multiple Elternschaften aufgelöst hat. Nun gibt es Fortsetzungsfamilien, n, Adoptionsfamilien, Plegefamilien, Inseminationsfamilien. Parallel zur Familie hat sich auch die Ehe gewandelt: Es entwickelten sich nichteheliche Lebensgemeinschaften, gleichgeschlechtliche Partnerschaften, Livingapart-together-Beziehungen, Monogamie auf Raten.

Diese neu entstandenen Lebensformen eröfnen Chancen, bergen aber auch Risiken. Da Vorgaben für diese Lebensformen weitgehend fehlen, mangelt es an Orientierung für die Beteiligten, sodass sich Reibungen und Konlikte rasch ergeben können. Gleichzeitig bietet das Fehlen von Normen des Zusammenlebens für die Betrofenen die Chance, eigene Regelungen für die individuelle Situation zu inden und zu vereinbaren (Bastine 2006: 131).

Mit der Polarisierung der Lebensformen ist gleichzeitig der Bedarf an professioneller Hilfe gewachsen, nach Konliktberatung, nach Entscheidungshilfen, nach Unterstützung bei der Entwicklung selbstbestimmter Lebensformen. Diese Entwicklung hat es mit sich gebracht, dass es inzwischen zahlreiche Anwendungsfelder von Mediation in Deutschland gibt, die sich in mehrere Hauptanwendungsfelder aufgeteilt haben. Einen großen Teil der Konliktbearbeitung deckt die Familienmediation ab, die sich ihrerseits selbst in verschiedenen Konliktfeldern von Ehe und Familie etabliert hat.

Besonderheiten

Die unterschiedlichen Familienkonlikte sind zum einen durch äußere Faktoren (so etwa Finanzen und Recht), zum anderen aber auch durch subjektive Faktoren (intra- und interpersonale Bedingungen) geprägt. Was die beteiligten Familienmitglieder subjektiv als Konlikt und dessen Lösung ansehen, wird durch zahlreiche Faktoren beeinlusst, wie zum Beispiel die eigene Wahrnehmung, die unterschiedliche Wertaufassung der Parteien, die Geschichte des Konlikts. Die dabei auftretenden familiären Interessengegensätze werden von den Parteien als unerwünscht bewertet und mit hoher emotionaler Beteiligung wie Ärger, Wut, Angst und Schuld verbunden (Bastine et al. 2006: 133).

Hinzu kommt eine bestimmte Konliktdynamik:

Sach- und Beziehungsfragen werden vermischt (Fragen des Umgangsrechts mit Vertrauensfragen aus der elterlichen Beziehung),
interpersonale und intrapersonale Konfliktthemen können nicht auseinandergehalten werden (die Trennung vom Partner wird mit der Ablösung von den eigenen Eltern verknüpft; Bastine et al. 2006: 133).

Professionalisierung des Verfahrens

Vor dem Hintergrund dieser Familienkonlikte in der modernen Gesellschaft entwickelte sich ein breites Familien-Mediationskonzept und fand Eingang in die Praxis. Auf der Basis der vier wesentlichen Prinzipien wurde die Familienmediation in ihrem Verlauf in Phasen / Stufen eingeteilt. Zur Gestaltung der einzelnen Phasen wurden zahlreiche Methoden und Techniken zusammengestellt, die es dem Mediator ermöglichen, anhand eines Prozessleitplans handwerklich sauber Familienkonlikte zu bearbeiten.

Bei Dauerverhältnissen, wie sie bei Familien bestehen, sagt der Mediator die Bearbeitung der aktuellen Konlikte zu, nicht jedoch ihre Lösung. Dauerbeziehungen bringen immer wieder Konlikte hervor, die nicht im Vorfeld umfassend gelöst werden können. In der Familienmediation erlernen die Parteien über ihre konkrete Vereinbarung hinaus ein Muster dafür, wie sie ihre zukünftigen Konlikte eigenständig bearbeiten und lösen können.

In der bisherigen Praxis hat die Familienmediation eine Reihe von Variationen unterschiedlicher Interventionen entwickelt. Diese Modiikationen von Familienmediation dienen zum einen der Erweiterung der Klientel, die für die Familienmediation infrage kommt. Zum anderen ist der konliktbearbeitende Prozess durch die Modiikation intensiviert worden. Zudem konnten die Angemessenheit und Haltbarkeit von in der Mediation getrofenen Vereinbarungen verbessert werden. Schließlich hat sich die Familienmediation den Herausforderungen von Elternschaft und Erziehung gestellt und entsprechende Konzepte entwickelt (vgl. Irving / Benjamin 2002).

Anwendungsbereiche

Ziel der Familienmediation ist es somit, nicht mehr nur ausschließlich eine außergerichtliche Regelung von juristisch relevanten Konlikten (Scheidung) zu erarbeiten, sondern ebenso eine informelle Bearbeitung und Lösung von allgemeinen innerfamiliären Diferenzen und Konlikten zu ermöglichen.

Inzwischen kommt Familienmediation bei einer Vielzahl von partnerschaftlichen und familiären Konlikten mit bestimmten Fragestellungen zur Anwendung (Bernhard / Winograd 2003: 286).

Diese Übersicht ist nicht abgeschlossen; mit dem weiteren Wandel von Ehe und Familie wird sich auch die Praxis der Familienmediation weiterentwickeln.

Für folgende familiäre Konliktfelder ist Familienmediation bisher entwickelt worden:

  • Paarkonflikte
  • Umgangskonflikte nach der Scheidung
  • Konflikte zwischen Eltern und Jugendlichen
  • Konflikte in Zweit-, Patchwork-, Plege-, Adoptions- und Inseminationsfamilien
  • Konlikte mit und in der Generation der Alten
  • Konflikte um das Familienerbe
  • Konflikte in Familienunternehmen

Fazit

Zusammenfassend lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt feststellen, dass sich die Familienmediation als eigenständiges, vielfältiges Angebot für Familien im weitesten Sinn etabliert hat. Sie hat sich nicht als Artefakt selbst erfunden, sondern ist eine Antwort auf massive Veränderungen der zurückliegenden Jahre im Bereich von Ehe und Familie.

Literatur

Bastine, Reiner et al. (2006): Familienmediation in der institutionellen Beratung. Aachen: Shaker.

Bernhardt, Hanspeter / Winograd, Bianca (2003): Zwischen Pragmatik und Transformation: Modelle der Familien-Mediation und ihre Bedeutung für das Selbstverständnis des Familien-Mediators. Familiendynamik 28 (3), S. 284–322.

Irving, Howar H. / Benjamin, Michael (2002): Therapeutic Family Mediation:

Helping Families Resolve Conlict. Thousand Oaks, Calif.: Sage Publications.

Peuckert, Rüdiger (2008): Familienformen im sozialen Wandel. Wiesbaden: VS

Verlag für Sozialwissenschaften.

Dieser Artikel ist in "Die Mediation" Ausgabe 04-2015 erschienen. Dort finden Sie noch weitere spannende Artikel Rund um das Thema Familie, unter anderem:

  • Vielfalt und Gestaltungsfreiheit – Zusammenleben im 21. Jahrhundert,
  • Retortenfamilie? – Wie die Medizin neue Familienformen synthetisiert,
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